Allmacht und Ohnmacht – Gott als
Alibi
Wo immer
eine größere Gruppe Menschen durch eine gemeinsame Idee zu definieren ist
entsteht Führungspotenzial. Ob es sich um eine Gruppe Laubenpieper in Berlin,
eine Gang in den Slums Südamerikas, eine Gewerkschaft in Frankreich, einen
Stammesverband im Orient oder um eine erdumspannende Religion handelt, es
entsteht ein organisatorisches Führungsvakuum, das von Menschen mit
Machtansprüchen gefüllt wird.
Geht es zu
Beginn noch um Organisation und Administration einer Idee, so wird doch in fast
allen Fällen sehr schnell klar, welche politischen Möglichkeiten, unabhängig
von der Grundidee, eine größere Gruppe Menschen, die einer bestimmten Ideologie
folgen, der Führung bietet. Nach einiger Zeit dient die Grundidee nur noch als
Alibi für die aus der blinden Masse resultierende Macht.
Die
Mitglieder leben nach einem gemeinsamen Verhaltenskodex. Zwar unterscheidet
sich der Kodex einer Jugendgang vom Verhaltenskodex im Rahmen einer religiösen
Ideologie. Das organisatorische Prinzip ist gleich. In beiden Fällen werden
Abweichungen vom vorgegebenen Verhalten sanktioniert um die Macht an der Spitze
nicht zu gefährden. Ob diese Sanktionen körperlicher oder geistiger Art sind
ist unerheblich.
Im
Zeitablauf gewinnt das gemeinsame Verhalten stärkeren Einfluss auf die
Gemeinschaft als die Grundidee. Ist die Machtstruktur erst einmal definiert, im
Katholizismus zum Beispiel durch das Papsttum, dann wird das
Organisationsschema und damit die Person an der Spitze so stark dass die Gemeinschaft
ihr folgt auch wenn sie gegen die ursprüngliche Grundidee handelt und verstößt.
Gerade im
zentral organisierten Katholizismus gibt es über die Jahrhunderte viele
Beispiele in denen Päpste oder andere Würdenträger gegen die ideellen Vorgaben
handelten um ihre eigenen, der Ideologie widersprechenden, Ziele, oft recht
eigennütziger Art, zu verfolgen.
Auch in
vorgeblich demokratischen Nationen ist der Ausbau der Macht der Person an der
Spitze, unabhängig von Gesetzen und Vorschriften, nicht unbekannt. Nicht nur
afrikanische Potentaten sichern sich und ihrer Familie Einfluss und Einkommen.Beispiel
für den eigenen Anspruch sind Personen in anderen Staaten auf der gleichen
Statusebene, nicht die eigene Wirtschaftskraft. Im dem der Armut verpflichteten
Christentum zum Beispiel veränderte sich in wenigen Jahrhunderten religiöse
Administration in weltliche Macht. Päpste und Bischöfe wetteiferten mit
Kaisern, Königen und Fürsten um Prunk und Einfluss.
Hier soll
aber nicht der allgemeine, sondern der spezielle Fall von Macht auf religiöser
Basis angesprochen werden.
Jede Führung
einer Glaubensgemeinschaft beruft sich in irgendeiner Form zur Legitimation auf
ein höheres Wesen. Dabei ist es unerheblich ob der Administrator als
Stellvertreter dieses höheren Wesens auftritt oder sich als Reinkarnation einer
höheren Kraft ausgibt. Die übergeordnete Macht wird gemeinhin als „Gott“
bezeichnet. Alle deistischen Religionen eint eine Aussage: Gott ist allmächtig.
Das gilt vom Christentum bis zum Islam. Ohne Ausnahme.
„Gott“ ist Grundlage des Machtanspruches der
Administration an der Spitze der jeweiligen religiösen Organisation.
Jede
Organisation bedarf einer Verwaltungsstruktur. Die Organe dieser Struktur haben
theoretisch den Auftrag die Anhänger einer Ideologie so zu organisieren, dass
die der Ideologie eigenen Grundlagen gemeinsam verfolgt werden können. Im
religiösen Rahmen ist dies die gemeinsame Verehrung der jeweiligen Auslegung
des Begriffes „Gott“.
Die
Definition „Gott“ lässt in keiner Religion eine wie immer geartete Umdeutung
oder Einschränkung seiner Fähigkeiten zu. Gott ist der universelle Schöpfer des
Kosmos und damit auch des Menschen. Eine Diskussion über die Grenzen der
Fähigkeiten Gottes wäre Häresie. Gott trägt über Urknall und Unendlichkeit
hinaus im Rahmen seiner Allmacht die Verantwortung für alles, was im Kosmos
geschieht. Er ist, im Gegensatz zum Menschen, allwissend und allmächtig. Seine
Ziele werden Grundlage von Religionen. Allerdings werden diese Ziele von
Menschen interpretiert, die sich mangels Wissens darüber, auf, sachlich nicht
nachprüfbare, Offenbarungen und Vermutungen berufen müssen.
Alle
Religionen fordern Unterwerfung unter den allmächtigen Willen Gottes. Dieser
Wille wird, mangels der Möglichkeit eines direkten Gespräches mit Gott, als der
Wille der Spitze der Administration der jeweiligen Ideologie definiert.
Unterschiedliche Religionen vertreten unterschiedliche Auslegungen der
Definition Gottes, aber keine schränkt die Allmächtigkeit ein. Je größer die
Anhängerschaft, desto stärker die Position der jeweiligen Administration. Je
intensiver ein konkurrierendes System, sei es religiös oder abweichend
definiert, Menschen an sich bindet, desto eher wird die Macht der
Administration des eigenen Systems in Frage gestellt. Folgerichtig wurde und wird
die religiöse Ideologie benutzt um die administrative Macht zu sichern.
Trotz der
Aussage: „Gott ist allmächtig“ wird den eigenen Anhängern die, ideologisch
absurde, Auffassung vermittelt, dass Gott auf Erden auf Ihre Hilfe angewiesen
ist. Kriege werden im Namen Gottes geführt. Ob es beutehungrige Kreuzfahrer
waren oder heute selbsternannte Kalifen sind, die im Namen Gottes wüten, macht
keinen Unterschied. Sogenannte Andersgläubige werden getötet, was den
angenehmen Nebeneffekt der Übernahme ihres Besitzes, oft einschliesslich ihrer
Frauen und Kinder, hat.
„Gott“ wird
so unvermittelt, ohne Rücksicht auf die ursprüngliche Grundlage der Ideologie,
zur Entschuldigung für den Machterwerb oder Machterhalt der Administration. Aus
dem allmächtigen Gott ist plötzlich per Deklaration der Administration ein
ohnmächtiger Gott, ein hilfloses Wesen, geworden, dass sich nicht selbst helfen
kann und der zu allen Zeiten schon als Alibi galt, wenn getötet, verschleppt,
gefoltert und versklavt wurde. Ob Inquisition oder ISIS, Religion, deren
Grundlage die Allmacht Gottes ist, erweist sich als Ideologie die die Allmacht
Gottes aufgibt um kaum verhüllt administrative Macht, unabhängig von der
ursprünglichen Idee, an deren Stelle zu setzen.
Die Fassade
wird, mit Feldkaplan oder Feld-Imam, Waffensegnung und Feldgottesdienst
aufrechterhalten, aber ein Potemkinsches Dorf wird errichtet, denn dahinter
verbirgt sich das ideologische Nichts. Der Machtanspruch der Administration hat
Gott usurpiert. Die Gläubigen dienen, selbst in Demokratien, zur Beschaffung
von Mehrheiten. In Deutschland ist der Anspruch auf eine „Christliche
Leitkultur“ oder das „C“ im Namen von Parteien ein sprechendes Beispiel für
einen derartigen Ansatz.
Die
unterschiedlichsten Religionen haben im historischen Zeitablauf ähnliche
Verhaltensweisen gezeigt. In allen Fällen sind die Gläubigen der Administration
gefolgt, wenn es darum ging konkurrierende Systeme negativ zu definieren um den
eigenen Machtbereich zu erhalten und zu erweitern. Ob die Kreuzritter mit „Gott
mit uns“, oder islamistische Mörder mit dem Ruf „Gott ist gross“ in den Krieg
gegen die Ungläubigen ziehen ist unerheblich. Da die Allmacht Gottes per
Definition unbestritten ist, und er deshalb auf Hilfe nicht angewiesen sein
kann, kann es nur um administrative Macht und persönlichen Einfluss gehen.
Zur
Sicherung dieser Macht wird schon früh die Akquisition neuer Unterstützer
betrieben. Taufe, Konfirmation oder die Ansprache von Jugendlichen auf der
Strasse durch unterschiedliche Glaubensideologien, vom Deismus bis zu
Scientology, soll langfristig die Administration, und ihr Einkommen, absichern.
Schon zur
Zeit der alten Ägypter nutzten die Personen an der Spitze die Möglichkeiten der
religiösen Ideologie indem sie sich selbst zu Gottkönigen erklärten. Cäsaren
taten es ihnen gleich. Der überwiegende Teil der Menschheit braucht den
Gottesbegriff zur Erklärung der eigenen Existenz, weil der Mensch sich als
Subjekt unbekannter natürlicher Mächte fühlt. Der Gottesbegriff schafft Ordnung
innerhalb großer Gruppen und entlastet den fragenden Intellekt, aber er schafft
leider auch Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen menschlichen
Gemeinschaften, deren Auslegung des Gottesbegriffes durch seine administrativen
Vertreter unterschiedlich ist.
Das
Metasystem Menschheit bedarf dringend der Ordnung um Verluste im Wirkungsgrad
der Entwicklung auf ein uns unbekanntes Ziel hin zu vermeiden. Religion ist ein
Ordnungssystem, das geeignet ist die Masse des Systems in eine gemeinsame
Richtung zu bündeln. Ein höheres Wesen als Basis des Systems vermeidet Kritik
an menschlicher Administration, die nur nach Alltagserfahrungen beurteilt wird.
Im Schatten Gottes lässt sich trefflich die eigene Macht verbergen.
Der Mensch
ist ein Säugetier mit nicht nur zeitlich sehr begrenzter physischer und
logischer Autonomie. Er hat den Begriff eines höheren Wesens definiert um die
Grenzen seiner Erkenntnis zu bemänteln. Die Bindung der naiven Masse an diesen
Begriff eröffnet politische Möglichkeiten für eine administrative Elite, selbst
bei demokratischen Wahlen.
Wenn die
Aussage „Gott ist allmächtig“ allgemein anerkannt wird, dann ist der Versuch
religiöser Bürokratien die unerwünschten Folgen dieser Allmacht in
Detailaspekten zu korrigieren Gotteslästerung. Der Wille eines allmächtigen Gottes
kann vom Menschen nicht beeinflusst werden ohne den Begriff Allmacht vom Sinn
zu entleeren.
Folgerichtig
wird dem Menschen ein freier Wille zugeschrieben, obwohl er weder bei Geburt
noch Tod Einfluss auf die eigene Existenz hat. Aber nur der freie Wille kann
Verstösse gegen ethische Vorgaben der Ideologie erklären. Er dient als
Begründung wenn der Mensch versucht die Allmacht Gottes zu eigenen Gunsten oder
zu Gunsten der Administration in Frage zu stellen. Freier Wille und Allmacht
Gottes widersprechen sich.
Das dem Menschen
vorgegebene Überlebensziel nutzt seine physischen und intellektuellen
Fähigkeiten um sich existentiell im weitesten Sinne abzusichern und
durchzusetzen. Als Vorgabe ist es ein Bestandteil des natürlichen individuellen
Systems nach dem das Metasystem Menschheit einem unbekannten Ziel zustrebt. Im
Gegensatz dazu steht der individuelle Todestrieb den die Natur mit allen
Mitteln versucht zu neutralisieren um das gesamte System nicht zu gefährden.
Der
unmündige Mensch benutzt die Fiktion Gott um sich trotz seiner kompletter
Abhängigkeit von systemimmanenten Vorgaben auf eine höhere Ebene berufen zu
können. Die menschliche Existenz würde sonst ihren Selbstwert verlieren und sinnlos.
Ob die Natur es dem Menschen je ermöglicht eine Existenzebene höherer Logik zu
erreichen bleibt ihm unbekannt. Wie in der Quantenphysik treten Vermutungen an
die Stelle exakten Wissens und Wahrscheinlichkeiten an die Stelle exakter
Zahlen. Der Mensch stösst hier an die Grenzen des ihm, mit aus Erfahrung
entstandener Logik, Nachvollziehbaren.
Religiöse
Ideologien versprechen diese Unsicherheit zu beseitigen und den Wunsch der
Menschen nach existenzieller Klarheit zu erfüllen. Wie bei einem Magier, der
einen Elefanten auf offener Bühne verschwinden lässt, wird dann die Grundlage
der Ideologie gegen die Macht der Administration ausgetauscht, ohne dass das
Publikum es bemerkt. Es klatscht trotzdem weiter aus Gewohnheit Beifall.
Karl H.
Grabbe September 2019
Vom gleichen Verfasser: "Mensch Markt Macht Moral" als eBuch oder gedruckt im Internet