Freitag, 20. September 2019

GOTT. Alibi der Masse


Allmacht und Ohnmacht – Gott als Alibi

Wo immer eine größere Gruppe Menschen durch eine gemeinsame Idee zu definieren ist entsteht Führungspotenzial. Ob es sich um eine Gruppe Laubenpieper in Berlin, eine Gang in den Slums Südamerikas, eine Gewerkschaft in Frankreich, einen Stammesverband im Orient oder um eine erdumspannende Religion handelt, es entsteht ein organisatorisches Führungsvakuum, das von Menschen mit Machtansprüchen gefüllt wird.
Geht es zu Beginn noch um Organisation und Administration einer Idee, so wird doch in fast allen Fällen sehr schnell klar, welche politischen Möglichkeiten, unabhängig von der Grundidee, eine größere Gruppe Menschen, die einer bestimmten Ideologie folgen, der Führung bietet. Nach einiger Zeit dient die Grundidee nur noch als Alibi für die aus der blinden Masse resultierende Macht.

Die Mitglieder leben nach einem gemeinsamen Verhaltenskodex. Zwar unterscheidet sich der Kodex einer Jugendgang vom Verhaltenskodex im Rahmen einer religiösen Ideologie. Das organisatorische Prinzip ist gleich. In beiden Fällen werden Abweichungen vom vorgegebenen Verhalten sanktioniert um die Macht an der Spitze nicht zu gefährden. Ob diese Sanktionen körperlicher oder geistiger Art sind ist unerheblich.
Im Zeitablauf gewinnt das gemeinsame Verhalten stärkeren Einfluss auf die Gemeinschaft als die Grundidee. Ist die Machtstruktur erst einmal definiert, im Katholizismus zum Beispiel durch das Papsttum, dann wird das Organisationsschema und damit die Person an der Spitze so stark dass die Gemeinschaft ihr folgt auch wenn sie gegen die ursprüngliche Grundidee handelt und verstößt.
Gerade im zentral organisierten Katholizismus gibt es über die Jahrhunderte viele Beispiele in denen Päpste oder andere Würdenträger gegen die ideellen Vorgaben handelten um ihre eigenen, der Ideologie widersprechenden, Ziele, oft recht eigennütziger Art, zu verfolgen.
Auch in vorgeblich demokratischen Nationen ist der Ausbau der Macht der Person an der Spitze, unabhängig von Gesetzen und Vorschriften, nicht unbekannt. Nicht nur afrikanische Potentaten sichern sich und ihrer Familie Einfluss und Einkommen.Beispiel für den eigenen Anspruch sind Personen in anderen Staaten auf der gleichen Statusebene, nicht die eigene Wirtschaftskraft. Im dem der Armut verpflichteten Christentum zum Beispiel veränderte sich in wenigen Jahrhunderten religiöse Administration in weltliche Macht. Päpste und Bischöfe wetteiferten mit Kaisern, Königen und Fürsten um Prunk und Einfluss.

Hier soll aber nicht der allgemeine, sondern der spezielle Fall von Macht auf religiöser Basis angesprochen werden.

Jede Führung einer Glaubensgemeinschaft beruft sich in irgendeiner Form zur Legitimation auf ein höheres Wesen. Dabei ist es unerheblich ob der Administrator als Stellvertreter dieses höheren Wesens auftritt oder sich als Reinkarnation einer höheren Kraft ausgibt. Die übergeordnete Macht wird gemeinhin als „Gott“ bezeichnet. Alle deistischen Religionen eint eine Aussage: Gott ist allmächtig. Das gilt vom Christentum bis zum Islam. Ohne Ausnahme.
 „Gott“ ist Grundlage des Machtanspruches der Administration an der Spitze der jeweiligen religiösen Organisation.
Jede Organisation bedarf einer Verwaltungsstruktur. Die Organe dieser Struktur haben theoretisch den Auftrag die Anhänger einer Ideologie so zu organisieren, dass die der Ideologie eigenen Grundlagen gemeinsam verfolgt werden können. Im religiösen Rahmen ist dies die gemeinsame Verehrung der jeweiligen Auslegung des Begriffes „Gott“.
Die Definition „Gott“ lässt in keiner Religion eine wie immer geartete Umdeutung oder Einschränkung seiner Fähigkeiten zu. Gott ist der universelle Schöpfer des Kosmos und damit auch des Menschen. Eine Diskussion über die Grenzen der Fähigkeiten Gottes wäre Häresie. Gott trägt über Urknall und Unendlichkeit hinaus im Rahmen seiner Allmacht die Verantwortung für alles, was im Kosmos geschieht. Er ist, im Gegensatz zum Menschen, allwissend und allmächtig. Seine Ziele werden Grundlage von Religionen. Allerdings werden diese Ziele von Menschen interpretiert, die sich mangels Wissens darüber, auf, sachlich nicht nachprüfbare, Offenbarungen und Vermutungen berufen müssen.

Alle Religionen fordern Unterwerfung unter den allmächtigen Willen Gottes. Dieser Wille wird, mangels der Möglichkeit eines direkten Gespräches mit Gott, als der Wille der Spitze der Administration der jeweiligen Ideologie definiert. Unterschiedliche Religionen vertreten unterschiedliche Auslegungen der Definition Gottes, aber keine schränkt die Allmächtigkeit ein. Je größer die Anhängerschaft, desto stärker die Position der jeweiligen Administration. Je intensiver ein konkurrierendes System, sei es religiös oder abweichend definiert, Menschen an sich bindet, desto eher wird die Macht der Administration des eigenen Systems in Frage gestellt. Folgerichtig wurde und wird die religiöse Ideologie benutzt um die administrative Macht zu sichern.

Trotz der Aussage: „Gott ist allmächtig“ wird den eigenen Anhängern die, ideologisch absurde, Auffassung vermittelt, dass Gott auf Erden auf Ihre Hilfe angewiesen ist. Kriege werden im Namen Gottes geführt. Ob es beutehungrige Kreuzfahrer waren oder heute selbsternannte Kalifen sind, die im Namen Gottes wüten, macht keinen Unterschied. Sogenannte Andersgläubige werden getötet, was den angenehmen Nebeneffekt der Übernahme ihres Besitzes, oft einschliesslich ihrer Frauen und Kinder, hat.
„Gott“ wird so unvermittelt, ohne Rücksicht auf die ursprüngliche Grundlage der Ideologie, zur Entschuldigung für den Machterwerb oder Machterhalt der Administration. Aus dem allmächtigen Gott ist plötzlich per Deklaration der Administration ein ohnmächtiger Gott, ein hilfloses Wesen, geworden, dass sich nicht selbst helfen kann und der zu allen Zeiten schon als Alibi galt, wenn getötet, verschleppt, gefoltert und versklavt wurde. Ob Inquisition oder ISIS, Religion, deren Grundlage die Allmacht Gottes ist, erweist sich als Ideologie die die Allmacht Gottes aufgibt um kaum verhüllt administrative Macht, unabhängig von der ursprünglichen Idee, an deren Stelle zu setzen.

Die Fassade wird, mit Feldkaplan oder Feld-Imam, Waffensegnung und Feldgottesdienst aufrechterhalten, aber ein Potemkinsches Dorf wird errichtet, denn dahinter verbirgt sich das ideologische Nichts. Der Machtanspruch der Administration hat Gott usurpiert. Die Gläubigen dienen, selbst in Demokratien, zur Beschaffung von Mehrheiten. In Deutschland ist der Anspruch auf eine „Christliche Leitkultur“ oder das „C“ im Namen von Parteien ein sprechendes Beispiel für einen derartigen Ansatz.

Die unterschiedlichsten Religionen haben im historischen Zeitablauf ähnliche Verhaltensweisen gezeigt. In allen Fällen sind die Gläubigen der Administration gefolgt, wenn es darum ging konkurrierende Systeme negativ zu definieren um den eigenen Machtbereich zu erhalten und zu erweitern. Ob die Kreuzritter mit „Gott mit uns“, oder islamistische Mörder mit dem Ruf „Gott ist gross“ in den Krieg gegen die Ungläubigen ziehen ist unerheblich. Da die Allmacht Gottes per Definition unbestritten ist, und er deshalb auf Hilfe nicht angewiesen sein kann, kann es nur um administrative Macht und persönlichen Einfluss gehen.
Zur Sicherung dieser Macht wird schon früh die Akquisition neuer Unterstützer betrieben. Taufe, Konfirmation oder die Ansprache von Jugendlichen auf der Strasse durch unterschiedliche Glaubensideologien, vom Deismus bis zu Scientology, soll langfristig die Administration, und ihr Einkommen, absichern.

Schon zur Zeit der alten Ägypter nutzten die Personen an der Spitze die Möglichkeiten der religiösen Ideologie indem sie sich selbst zu Gottkönigen erklärten. Cäsaren taten es ihnen gleich. Der überwiegende Teil der Menschheit braucht den Gottesbegriff zur Erklärung der eigenen Existenz, weil der Mensch sich als Subjekt unbekannter natürlicher Mächte fühlt. Der Gottesbegriff schafft Ordnung innerhalb großer Gruppen und entlastet den fragenden Intellekt, aber er schafft leider auch Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen menschlichen Gemeinschaften, deren Auslegung des Gottesbegriffes durch seine administrativen Vertreter unterschiedlich ist.
Das Metasystem Menschheit bedarf dringend der Ordnung um Verluste im Wirkungsgrad der Entwicklung auf ein uns unbekanntes Ziel hin zu vermeiden. Religion ist ein Ordnungssystem, das geeignet ist die Masse des Systems in eine gemeinsame Richtung zu bündeln. Ein höheres Wesen als Basis des Systems vermeidet Kritik an menschlicher Administration, die nur nach Alltagserfahrungen beurteilt wird. Im Schatten Gottes lässt sich trefflich die eigene Macht verbergen.
 
Der Mensch ist ein Säugetier mit nicht nur zeitlich sehr begrenzter physischer und logischer Autonomie. Er hat den Begriff eines höheren Wesens definiert um die Grenzen seiner Erkenntnis zu bemänteln. Die Bindung der naiven Masse an diesen Begriff eröffnet politische Möglichkeiten für eine administrative Elite, selbst bei demokratischen Wahlen.

Wenn die Aussage „Gott ist allmächtig“ allgemein anerkannt wird, dann ist der Versuch religiöser Bürokratien die unerwünschten Folgen dieser Allmacht in Detailaspekten zu korrigieren Gotteslästerung. Der Wille eines allmächtigen Gottes kann vom Menschen nicht beeinflusst werden ohne den Begriff Allmacht vom Sinn zu entleeren.

Folgerichtig wird dem Menschen ein freier Wille zugeschrieben, obwohl er weder bei Geburt noch Tod Einfluss auf die eigene Existenz hat. Aber nur der freie Wille kann Verstösse gegen ethische Vorgaben der Ideologie erklären. Er dient als Begründung wenn der Mensch versucht die Allmacht Gottes zu eigenen Gunsten oder zu Gunsten der Administration in Frage zu stellen. Freier Wille und Allmacht Gottes widersprechen sich.
Das dem Menschen vorgegebene Überlebensziel nutzt seine physischen und intellektuellen Fähigkeiten um sich existentiell im weitesten Sinne abzusichern und durchzusetzen. Als Vorgabe ist es ein Bestandteil des natürlichen individuellen Systems nach dem das Metasystem Menschheit einem unbekannten Ziel zustrebt. Im Gegensatz dazu steht der individuelle Todestrieb den die Natur mit allen Mitteln versucht zu neutralisieren um das gesamte System nicht zu gefährden.

Der unmündige Mensch benutzt die Fiktion Gott um sich trotz seiner kompletter Abhängigkeit von systemimmanenten Vorgaben auf eine höhere Ebene berufen zu können. Die menschliche Existenz würde sonst ihren Selbstwert verlieren und sinnlos. Ob die Natur es dem Menschen je ermöglicht eine Existenzebene höherer Logik zu erreichen bleibt ihm unbekannt. Wie in der Quantenphysik treten Vermutungen an die Stelle exakten Wissens und Wahrscheinlichkeiten an die Stelle exakter Zahlen. Der Mensch stösst hier an die Grenzen des ihm, mit aus Erfahrung entstandener Logik, Nachvollziehbaren.

Religiöse Ideologien versprechen diese Unsicherheit zu beseitigen und den Wunsch der Menschen nach existenzieller Klarheit zu erfüllen. Wie bei einem Magier, der einen Elefanten auf offener Bühne verschwinden lässt, wird dann die Grundlage der Ideologie gegen die Macht der Administration ausgetauscht, ohne dass das Publikum es bemerkt. Es klatscht trotzdem weiter aus Gewohnheit Beifall.

Karl H. Grabbe  September 2019
Vom gleichen Verfasser: "Mensch Markt Macht Moral" als eBuch oder gedruckt im Internet


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