Stadtplanung
mit Todesfolge?
Als Konrad Lorenz die Chaostheorie entdeckte handelte es sich im Grunde,
mathematisch definiert, um eine nicht-lineares Phänomen. Die Chaostheorie ist
ein Werkzeug der Mathematik um die Vernetzung von Ereignissen und Interaktionen
in der Welt zu untersuchen.
Ein Schmetterling, der
zum Beispiel in Shanghai mit den Flügeln schlägt, könnte damit – so die
plakative Vereinfachung und Übertreibung von Lorenz – einen Wirbelsturm in New
York auslösen. Oder um eine deutsche Analogie zu übernehmen: Wenn in Hamburg
eine Bockwurst platzt kann das die japanische Reisernte vernichten.
Doch was hat die Chaostheorie mit Stadtplanung, Krieg und Tod zu tun? Ich
will mich bemühen diese Frage verständlich und nachvollziehbar zu beantworten
um zu begründen, weshalb ein Bebauungsplan in Deutschland zu Toten in Syrien
oder Libyen führen kann.
Das bedeutet nicht, dass Stadtplaner Mörder sind,
sondern dass das Gesetz der unbeabsichtigten Konsequenzen (Merton, 1936) mit
voller Wucht zuschlägt. Dieses Gesetz bezieht sich, vor
allem in Arbeiten der Soziologie, auf Ursachen für unbeabsichtigte Folgen. Das sind lt. Wikipedia: Komplexität, perverse Anreize, menschliche Dummheit, Selbstbetrug, Ignoranz der menschlichen Natur und
emotionale oder kognitive Verzerrungen. Dafür werden die folgenden Gründe genannt:
- Ignoranz: Es ist unmöglich, alle Möglichkeiten
vorherzusehen.
- Fehler:
Anwendung von Methoden, die in der Vergangenheit funktioniert haben, der
aktuellen Situation aber nicht gerecht sind.
- Kurzfristige Interessen, die langfristige dominieren
können.
-Grundwerte können einzelne Methoden erzwingen oder
verbieten, die langfristig gesehen unvorteilhaft sind.
- Selbstzerstörerische Prophezeiung: Angst
vor gewissen Folgen führt dazu, dass Menschen Lösungen finden bevor das Problem
auftritt, daher ist das Nichteintreten des Problems unerwartet.
Grundlage der Stadtplanung ist die Verteilung der Menschen in Gebäuden und
deren Ordnung auf der Fläche. Eine spezielle Variante der Stadtplanung ist der
Wohnungsbau. Umweltschäden und Infrastrukturkosten sowie die Kosten der
Unterhaltung der Infrastruktur steigen mit dem Verbrauch an Grundstücksfläche,
und nicht etwa mit der Anzahl der Wohnungen, exponentiell an. Je mehr
Grundstück verbraucht wird, desto mehr Nachteile ergeben sich für den
Steuerzahler und die Umwelt. Trotz dieses auch politisch und für die Umwelt
sehr wichtigen, aber mathematisch einfachen, Zusammenhangs erfolgt Stadtplanung
praktisch im finanziellen Blindflug.
In Deutschland liegen in der öffentlichen Statistik noch nicht einmal Werte
für den durchschnittlichen Grundstückverbrauch je Wohnung oder Haustyp vor,
obwohl lt. Bundesamt für Naturschutz täglich die Fläche von190
Fussballplätzen, ca. 90 ha, durch Bebauung verlorengeht. Primäres Ziel der
Stadtplanung sind offenbar nur ästhetische Werte. Und solange diese Werte, stark beeinflusst von
örtlichen politischen Kräften mit der Einstellung „not in my own backyard“, den
Zusammenhang zwischen Wirtschaftlichkeit, Umweltschonung, Demografie,
Soziografie, Einkommensverteilung und Planung ignorieren, solange bleibt unklar
welche immensen Weiterungen urbanes Wohnen verursachen oder aber auch
verhindern kann.
Städtebau geht anders. Er ist weder ein Imagewettbewerb unter Gleichgesinnten
noch eine Spielwiese für verkannte Genies. Er ist auch nicht die Wahrung des
visuellen Besitzstandes der Nachbarschaft, sondern die Anpassung der Nachfrage
an die örtlichen finanziellen Möglichkeiten und soziodemografischen Zwänge.
Kurz gesagt, er ist ein Resultat der, nicht immer optimalen, Wirklichkeit.
Dazu kommt eine Ausbildung von Planern und Architekten die den Planer als
Universalisten, statt als von volkswirtschaftlich notwendigen Vorgaben
abhängigen Auftragnehmer, definiert. Ästhetik, nicht Gebrauchswert und
Ersparnis, steht im Vordergrund.
Für den verantwortlichen Investor oder Bauträger, der die Koordination der
durch immer neue Vorschriften komplizierter werdenden Bautätigkeit und
Erschliessung übernimmt und der den Verbraucher im Markt vertritt, gibt es
dagegen nicht einmal ein festes Berufsbild oder eine umfassende Statistik. Er
gilt oft abwertend als Baulöwe oder Spekulant, wenn er den finanziell
begründeten Zwängen des Marktes folgt. Dieser Berufsstand ist nur entstanden,
weil immer neue Einflüsse, Vorschriften und Finanzierungszwänge
betriebswirtschaftliche Koordination und Kostenkontrolle des Festpreises
erzwangen, die normale Planer auf Grund ihrer Ausbildung nicht leisten konnten
oder wollten. Hier wurde von Architekten im Berufsbild freiwillig auf die
Führungsrolle beim Bau verzichtet.
Langfristige Gesichtspunkte bei Grundstücksverbrauch und
Infrastrukturunterhaltungskosten vertritt letztlich keine Instanz. Auch deshalb
sind die mittelbaren und international weitreichenden Folgen lokaler Planung in
der täglichen Praxis weitgehend unbekannt. Der Einfluss vorhandener Nachbarn
wird durch veraltete Bauordnungen und Baugesetze geschützt, im Zweifel
zugunsten der Besitzenden.
Diese Denke ist im Zeitalter der Globalisierung überholt. Grenzen
verschwimmen, eine Völkerwanderung findet statt. Neue Planungskriterien sind,
wie die folgenden Beispiele zeigen, schnell erforderlich.
Wie unterschiedlich Planungsziele sein können zeigt der Vergleich von zwei
Ausschnitten aktueller Planung von 2016.
Bei Plan A, ca. 25 km vom Stadtzentrum einer Grossstadt, handelt es sich um,
politisch geförderte, preisgünstige Bebauung, der die finanziellen
Möglichkeiten heutiger Haushalte dem Planungsansatz zugrunde liegen. Das
Einkommen der späteren Bewohner war Grundlage des Planungsansatzes.
Hier soll Normalverdienern der Erwerb von Wohnungseigentum ermöglicht
werden, ohne dass der Steuerzahler zusätzliche Subventionen aufbringen muss.
Städtische Planer haben ihre Planungsziele auf die vorhandene soziale
Infrastruktur ausgerichtet und über den Zuschnitt der Grundrisse verschiedene
soziologische Ziele verfolgt um eine gesunde demografische Durchmischung zu
erreichen.
Das traditionelle Reihenhaus wurde gewählt um Ersparnisse durch
Bauteiloptimierung zu erzielen und wenn irgend möglich Bauzeit und Zinsen durch
Vorfabrikation von Elementen zu sparen.
Die Grundstückanteile je Wohnung sind gering, aber ausreichend für normale
Familien von heute. Ein Reihenhaus mittlerer Grösse bietet einen Garten und
mehr Lebenswert als eine Wohnung, vielleicht noch ohne Balkon, auf der Etage. Das
trifft insbesondere auf Familien mit Kindern zu.
Das Grundstück liegt weit vom Stadtkern, die intensive, aber begrünte, Bebauung schützt und
spart unberührte Landschaft, ermöglicht eine preisgünstige Infrastruktur und
verursacht nur geringe spätere Unterhaltungskosten, denn auch diese Kosten
steigen exponentiell mit der Grundstückgrösse je Wohneinheit; und nicht etwa mit
der Anzahl der Wohneinheiten.
Plan B, für ein Grundstück am Kernstadtrand, 4 km vom Zentrum einer deutschen
Mittelstadt, ist das genaue Gegenteil. Statt grundstückssparend für normale
Einkommen zu planen werden hier mit dem vielfachen Anteil von Grundstücksfläche
je Wohneinheit auf Kosten der Umwelt Ideen verwirklicht, die sich nur sehr Wohlhabende
leisten können. Statt in Fahrradentfernung vom Stadtzentrum wirtschaftlich zu
bauen um die Umwelt vor Abgasen zu schützen und Infrastruktur umweltfreundlich
und wirtschaftlich zu gestalten werden hier, ohne Rücksicht auf umweltpositive
und soziale Optimierung des Wohnungsangebotes, Träume der Planer für Reiche verwirklicht.
Dazu kommt eine, mangels klarer politischer Vorgaben an die Verwaltung,
lange Bearbeitungszeit die die Kosten durch Zinsen und Baupreissteigerung
erheblich negativ beeinflusst.
Ohne Rücksicht auf die Kosten für die späteren Bewohner werden mit
jahrelangen teuren Verzögerungen Planungswerkstatt und Architektenwettbewerb
öffentlich abgewickelt.
Diskussion unter wirtschaftlich unkundigen Theoretikern führt zu einer
Lösung, die deren ästhetische Vorstellungen nahe kommt. Sie repräsentiert sich
auf Ausstellungen und Fachzeitschriften gut, erhöht aber die Wohnkosten allein
durch die erforderliche Planungszeit gewaltig.
Der Druck der Zinsen, für jede private Firma ein Problem das zu Eile und
Wirtschaftlichkeit zwingt,
hat für Politiker und staatliche Planer kein Gewicht. Bebauungspläne dauern
Jahre.
Bei nur 6 qm Grundstücksanteil je qm Wohnfläche und Grundstückskosten von
350 Euro/qm erhöht sich bei einem Zinssatz von 5 % dadurch die Miete bei nur
einem Jahr zinsträchtiger Planungszeit bei einer 75 qm-Wohnung um 650 Euro im
Monat. Meist wird es viel teurer, denn dazu kommt noch die ebenfalls von der Zeit
abhängige Steigerung der Baukosten.
Plan B
Mit einem wunderschönen Plan wird eine Gartenstadt erträumt, die am Rand
der Innenstadt dem Ideal vom eigenen Heim in einer lockeren Parklandschaft
gerecht werden soll. Politik und Planung arbeiten jahrelang Hand in Hand um
Ideale zu verwirklichen, die nur einen Nachteil haben: Der normale Bürger kann
es sich nicht leisten, dort zu wohnen und weicht auf das Umland aus. Statt 4 km
mit dem Fahrrad fährt er dann zweimal am Tag steuerlich subventionierte 20 km
mit dem Auto, bis er die angrenzende Umweltzone(!) der Kernstadt und seinen
Arbeitsplatz erreicht hat.
Das führt nicht nur zu hohen Infrastrukturkosten, sondern auch zur
Verschwendung von Lebenszeit. Eine Stunde Fahrt je Tag sind, abgesehen von den Umweltfolgen,
bei einem normalen Arbeitsleben fast 3½ Jahre, die der normale Arbeitnehmer im
Auto zubringt, verlorene Lebenszeit. Es würde sich lohnen einmal nachzurechnen
wieviel Umweltbelastung durch Produktion, Verschleiss und Abgas im örtlichen Einzelfall
entsteht. Bei nur 100 durch derartige Planung entfallenden Wohneinheiten sind
das mehr als drei Menschenleben die vernichtet werden. Kleine Ursachen, aber
grosse Wirkung aus der hohe planerische Verantwortung gegenüber Allgemeinheit
und Umwelt resultiert. Interdisziplinäres Denken, über vorhandene Grenzen
hinweg, wird erforderlich.
Demografen, Statistiker, Sozialwissenschaftler, Umweltkundler und die
technischen Berufe müssen zusammenarbeiten um die Folgen des zunehmenden
Grundstücks- und Landschaftsverbrauchs zu mindern. Neue Bauvorschriften, die
der Umwelt nutzen sollen, sind nur Kurieren an Symptomen. Es kommt schon bei
der Planung darauf an den Energieverbrauch zu mindern und grundstückssparende
Bauformen zu entwickeln. Selbst ein freistehendes Haus lässt sich schon heute,
bei Einhaltung aller Vorschriften, auf 245 qm Grundstück errichten. Üblich sind
500 – 600 qm, in „besseren“ Stadteilen noch weitaus mehr. Hier leben
Wohlhabende auf Kosten des Durchschnitts. Die Erde gehört uns allen.
Restriktionen beim Grundstücksverbrauch schützen die Allgemeinheit.
Wieviel an Umweltverschmutzung und Landschaftsverbrauch liesse sich sparen,
wenn eine standardisierte, nicht auf den Planbereich beschränkte, Umweltfolgenanalyse
und die Ermittlung soziodemografischer Merkmale der jeweiligen Planung zugrunde
gelegt würden.
Die schweizer Gemeinde Morges, idyllisch am Genfer See gelegen, hat das
heisse Eisen der Architekten und Stadtplaner angefasst und ermitteln lassen
wieviel Landschaft unnötigerweise verschwendet wird. Die Bilder sprechen Bände:
Statt rationeller Überlegungen werden oft, aus Umweltgründen nicht zu rechtfertigende, Idealvorstellungen,
mit dem Planungsmonopol der Verwaltung als Druckmittel im Rücken, gegen die
Nachfrage normaler Einkommensbezieher am Markt durchgesetzt.
Dies
merkwürdigerweise ohne dass Umweltschützer auf die Barrikaden gehen um
Landschaftsverbrauch je Wohneinheit zu minimieren und den umweltschädlichen
Quellverkehr - bei den zu erwartenden hohen Preisen und Mieten sind hier viele
spritfressende grosse Autos zu erwarten - am Rande der Umweltzone zu
reduzieren.
Statt dessen finden Demonstrationen, wie 2019 in Berlin, für die Enteignung von Wohnungsgesellschaften statt deren Erfolg nicht eine Wohnung mehr bringen und den Steuerzahler mit immensen Zusatzkosten belasten würde.
Das im freistehenden Einfamilienhaus verankerte Denken der Architekten
zeigt sich in einer Veröffentlichung, die ein „Sparhaus“ mit 26 qm Wohnfläche
vorstellt. Hauptsache freistehend. Die enge soziale Beziehung zur Nachbarschaft
scheint planerisch nicht erwünscht. Erschliessung und Grundstücksverbrauch
zu Lasten der Allgemeinheit werden nicht einmal ansatzweise berücksichtigt. Ein
normales, in der Praxis zu Hunderttausenden erprobtes, Reihenhaus böte für die
gleichen Gesamtkosten die dreifache Wohnfläche und liesse sich auf weniger als einem
Drittel der Grundstücksfläche errichten.
Orientiert man sich an den Wohnungsgrössen, dann zerfällt Deutschland in
eine 2-Klassen-Gesellschaft.
Zwei Drittel der Haushalte bewohnen nicht mehr als 120 qm, meist viel
weniger.
Der Rest sammelt sich um den Wert von 190 qm bis weit darüber. Planung
privilegiert hier das obere Drittel, obwohl die Einkommensverteilung eine
harmonische Kurve ergibt.
Je näher die Menschen in sozialer Gemeinschaft zusammen leben,
desto weniger Infrastrukturkosten entstehen, zumindest für den Steuerzahler.
Aber diese positive soziale Interaktion muss soziologisch einschliesslich der
erforderlichen Technik geplant werden.
Fahrstühle in Hochhäusern ersetzen Aufwand für Erschließungsstrassen.
Versorgungsleitungen werden als Sammelleitungen ausgeführt. Fahrgemeinschaften
und Casharing werden einfacher. Der Verzicht auf freistehende Einfamilienhäuser
für Familien ohne Kinder, bzw. die Beschränkung von deren Grundstücksfläche auf
das absolut notwendige Maß, würde den Steuerzahler der Zukunft von Milliarden
entlasten. Stadtplaner sind keine Architekten. Sie soll nur den Rahmen liefern,
in dem Gebäudeplaner später tätig werden.Dieser Rahmen beruht nicht nur auf
ästhetischen, sondern primär auf wirtschaftlichen Grundlagen. Nur das
verfügbare Einkommen kann Grundlage des Planungsansatzes sein.
Gespräche mit Stadtplanern führen aber in fast allen Fällen unweigerlich zu
einer Architekturdiskussion, bei der die mit der Planung verbundenen Kosten nur
eine untergeordnete Rolle spielen. Wie wenig auch die Politik Planung
hinterfragt, lässt sich unschwer erkennen wenn man feststellt, das mittlerweile
die durchschnittlichen Grundstücksanteile je Wohneinheit in den verschiedenen
möglichen Bauformen, zumindest in Deutschlands amtlichen Statistiken, nicht
mehr zur Verfügung stehen. Wie soll dann wirtschaftlich geplant werden?
Die Weltbevölkerung ist von 2010 auf 2015, in nur 5 Jahren, von 6.93 Md. auf
7.35 Md. gestiegen. Deutschland erlebt Zuwanderung. Die Kosten steigen. Neue
Ansätze sind erforderlich. Es reicht nicht, die alten Bauformen fortzuschreiben
oder oberflächlich zu ökologisieren und behindertengerecht zu organisieren. Die
durch den immensen Landschaftsverbrauch volkswirtschaftlich entstehenden
Nachteile lassen sich auch nicht durch immer neue, die Wohnkosten verteuernden,
Energiesparauflagen kompensieren.
Politik verzichtet, durch mangelnde Analyse der Grundlagen, darauf zu
hinterfragen, wie die Umweltbelastung gesenkt und der Verbrauch an
unvermehrbaren Grundstücksflächen durch bedarfsgerechte Planung gemindert
werden kann. Doch langsam wird umgedacht. Umweltministerin Barbara Hendriks
fordert im April 2017 die „nachhaltige Stadt der kurzen Wege“.
Auch die IG Bau hat das, auf der
Grundlage von Zahlen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung,
erkannt und im April 2017 öffentlich Änderungen der Wohnraumpolitik gefordert.
Der IG-Bau geht es vordringlich um die Verringerung der steigenden
Pendlerzahlen, die dadurch entstehende Entlastung der Umwelt und den
Zeitverlust durch tägliche stundenlange Fahrtzeiten der Beschäftigten.
Jeden Tag werden in Deutschland viele Hektar Land für Bebauung verbraucht,
die durch bessere Planung eingespart werden könnten. Allein von 2003 – 2006
gingen 1657 km² Fläche für Bau und Erschliessung verloren, fast viermal die
Fläche des Bundeslandes Bremen (419 km²). Wer Diskussionen in örtlichen Gremien
mitverfolgt, der erkennt schnell, das nicht Wirtschaftlichkeit eine Rolle
spielt sondern vor allen Dingen die Erhaltung einer möglichst ungestörten
Nachbarschaft. So kommt es zu einer negativen Anpassung der Bautätigkeit an den
Bedarf.
Während durch den demografischen Wandel über die Hälfte der Großstädter in
Einpersonenhaushalten wohnen hat die Planung sich diesen Voraussetzungen nicht
angepasst. Sie beruht nach wie vor auf Vorstellungen, die noch aus der
Blut-und-Boden Ideologie vergangener Zeiten stammen in denen das freistehende
Einfamilienhaus der Traum jeden Planers war.
Resultat ist ein Wohnungsbestand, der mit der demographischen
Zusammensetzung der Bevölkerung negativ korreliert, d. h. es gibt viele große
Wohnungen und viel zu viele kleine Haushalte.
Mit der Alterung der Bevölkerung steigt der Heizungsaufwand, und damit
Energiebedarf und Umweltbelastung, je Person immens. In den Grossstädten
bestehen über 50% der Haushalte aus nur einer Person. Sie leben oft in grossen
Altbauwohnungen, schlecht gedämmt, mit hohem Energieverbrauch. Die Nebenkosten
werden zur zweiten Miete. Die eigentliche Miete wird durch partielle Enteignung
der Eigentümer subventioniert. Mieterschutzgesetze haben dazu geführt dass
Deutschland eine Eigentumsquote von unter 50% hat, Bulgarien hat 97%.
Der Druck zu einer sozial adäquaten, steuersparenden, soziologisch und demografisch angepassten Raumplanung und einer
daraus resultierender gerechterer Eigentumsverteilung im Wohnungsbau hat so
keine Chance sich im öffentlichen Raum zu entwickeln solange nicht die
Ausbildung der Planer der wirtschaftlichen Wirklichkeit angepasst wird..
Dazu kommt ein anderer Faktor. Statt Steuerertrag und
Infrastrukturunterhaltungskosten jedes Bebauungsplanes gegenüberzustellen
spielen derartige Kosten für die Zuständigen keine Rolle. Der ehemalige
Finanzminister eines deutschen Bundeslandes sagte, auf den Nachteil der nicht
erfassten Zinsen bei der kameralistischen Buchführung des Staates angesprochen, „Wir brauchen keine doppelte Buchführung. Wir haben doch die Steuerschätzung.“
Kein Wunder dass es in Deutschland, ohne bekannte Konsequenzen für die
fachlich Verantwortlichen, möglich ist ein Konzertgebäude in Hamburg mit 80 Millionen
zu planen und für das zehnfache, 800 Millionen, abzurechnen. Dafür wird dann
die Grunderwerbssteuer erhöht und das Wohnen verteuert. Die Erhöhung um 1
Prozent kostet bei einem Haus für 350.000 Euro 3500.- DM zu Lasten eines
Erwerbers, der die Elbphilharmonie wahrscheinlich nie von innen sieht.
Die Verschwendung hält auch im
Wohnungsbau an. Planerische Zielvorstellung ist nicht eine Verminderung der
durch Grundstücksverbrauch entstehenden Nachteile, sondern eine Fortschreibung
der Ideale der Vergangenheit trotz wachsender Weltbevölkerung. Wenn etwa 2
Millionen Flüchtlinge nach Deutschland kommen dann ist, auch in Hinsicht auf
den mit dem Grundstückverbrauch quadratisch steigenden Ölbedarf als
Kriegsursache, neues Denken bei der Planung erforderlich.
„Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, als ein
Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten weit in der Türkei die Völker
aufeinanderschlagen ... „ schreibt Goethe im Faust. Bis heute hat sich nicht
viel geändert. Wir nehmen passiv zur Kenntnis was wir aktiv ändern könnten.
Planung die mittelbar Kriege verursacht ist unmoralisch. Die Ursachen der
Kriege und des millionenfachen Leidens liegen heute nicht mehr bei
beutehungrigen Kreuzfahrern sondern in Planungsansätzen, die, nicht nur in den
USA, diese Kriege zu Sicherung der Energieversorgung erst erforderlich machen: Stadplanung
mit Todesfolge.
Eigenes Heim auf eigener Scholle, wie schon 1933, das ist auch heute noch
die Zielvorstellung vieler politische Gremien in Deutschland – ohne Rücksicht
auf die Kosten. Mangels ausreichender Statistiken und Kennwerte wird einfach
nicht erkannt, wie die Belastung der Umwelt und des Steuerzahlers durch eine
veränderte Planungspolitik gesenkt werden kann.
In Deutschland leben nur etwa 227 Menschen auf 1 km².In den Niederlanden
sind es schon 410, in Singapur 8295 Menschen, die sich einen km² teilen. In
Amerika sind es nur 35 Menschen und in Australien nur 3 Einwohner die sich 1
km² des riesigen Landes teilen.
Die Zersiedelung Amerikas erkennt man, wenn man stundenlang über den
Siedlungsbrei der Einfamilienhausgebiete fliegt, die die großen Städte
Kaliforniens umringen. Folgerichtig werden riesige Flächen für Straßen benötigt.
Oft beträgt die Fahrzeit zur Arbeitsstelle mehr als 2 Stunden. Das bedeutet das
nicht nur 4 Stunden am Tag für die Fahrt zur Arbeit geopfert werden, sondern
dass auch die Volkswirtschaft Amerikas auf die möglichst preiswerte Versorgung
mit Treibstoffen für den Individualverkehr angewiesen ist. Die Menschen in Los
Angeles fahren zusammen 480 Millionen Straßenkilometer am Tag ¹) und sitzen durchschnittlich 90 Stunden im
Jahr im Stau, und das meist mit laufender Klimaanlage.
Damit sind wir jetzt wieder bei der Chaostheorie und dem Schmetterling, der
in Shanghai mit den Flügeln klappert und dadurch einen Wirbelsturm in New York
auslöst.
Um den durch unwirtschaftliche Stadtplanung verursachten
Treibstoffverbrauch preiswert zu decken destabilisiert die USA, in Abstimmung
mit Verbündeten, mit militärischen und anderen Mitteln Länder im vorderen
Orient, um sich den Zugang zu den Ölquellen zu sichern.
Auch Stadtplanung in Deutschland, das von internationalen
Treibstoffgesellschaften versorgt wird, löst so Krieg in Libyen oder dem Irak
aus, der auf den gesamten vorderen Orient übergreift. Verbunden damit ist eine
neue Völkerwanderung, die dazu führt, dass die europäische Gemeinschaft, ohne
die zur Aufnahme von Flüchtlingen erforderlichen Organisationssysteme, langsam
auseinanderfällt.
Nationaler Egoismus gefährdet nicht nur das europäische Zahlungssystem,
sondern auch die Handlungsfähigkeit der gemeinsamen Union. Es hat
mit dem Brexit begonnen, aber die nicht zuletzt, auch im Laizismus, religiösen
Widerstände gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in vielen Ländern können dazu
führen, dass die Europäische Gemeinschaft handlungsunfähig wird und ihren Zusammenhalt
verliert. Die Sezessionskriege im ehemaligen Jugoslawien sind ein Hinweis auf
die mangelnde Haftung der europäischen Idee und die Stärke des tradierten
europäischen Nationalismus.
Eine Vielzahl von Komponenten bestimmt das Bild: nationale Ideologien, Religionen,
der wirtschaftliche Sog der reichen Länder, Realpolitik, ethnische Säuberungen
und manches andere.
Die traurigen Szenen der Folgen der Auseinandersetzung der Grosssmächte in
den ölreichen Ländern des vorderen Orients sind im TV zu Standardware geworden,
die wir beim Abendessen vor dem Unterhaltungsprogramm, eher unwillig, als
Trailer zur Kenntnis nehmen.
Gleichzeitig hat sich, nicht nur in Amerika, eine Rüstungsindustrie
entwickelt die, durch Lobbyismus und Wahlkampfspenden, Vorstellungen fördert,
die Kriegen zugrunde liegen. Die Politik reagiert und zettelt Kriege in anderen
Ländern an. Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie werden erhalten, Soldaten
und ausländische Zivilisten sterben.
Deutschland ist da keine Ausnahme:
Ein großer Sektor der Volkswirtschaften lebt davon, dass andere Menschen
sich umbringen. Politisch ist das Sicherung der Arbeitsplätze, moralisch
Massenmord.
Dass mangelnde Statistiken, wirtschaftlicher Unverstand bei Politik und
Behörden und falsch ausgebildete Planer am Anfang der Kausalkette des tödlichen
Chaos stehen bemerkt bisher niemand. Noch weniger sieht die Politik Anlass zu
Veränderungen. Der Wähler sieht nur seinen örtlichen, individuellen
Nutzen. Die politisch Handelnden sehen nur die Wählerstimmen. Und so
marschieren wir vermutlich gemeinsam, wie die Lemminge, in den – vermeidbaren –
Abgrund.
¹) Quelle: FORTUNE 2016
Karl H. Grabbe 6-2017/ 4-2019